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Die politische Subversion des Mai ’68 brauchte eine Weile bis sie auch in Heidelberg ankam. Doch als es soweit war, bewies die Linke hier erstaunliche Radikalität. Frustriert von seiner Arbeit in der stationären Psychiatrie, gründete der Arzt Wolfgang Huber in der Heidelberger Uniklinik das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK). Er betrachtete die kapitalistische Gesellschaft selbst als Krankheit und Störung, die erst die Symptome der depressiven, zwanghaften oder psychotischen Patienten hervorbrachte. Nach einer Serie von Konfrontationen mit der Leitung der Universität, richtete sich das SPK ab März 1970 in einer utopisch anmutenden Wohngemeinschaft in Heidelberg ein. Bis zu 500 Mitglieder – Patienten, Psychiatrieerfahrene und Therapeuten – suchten hier mit Lese- und Diskussionsgruppen einen neuen Gesellschaftsentwurf.
Der Filmemacher Gerd Kroske („Striche ziehen“) zieht den Zuschauer mit kleinen Personenporträts in die spannende Geschichte des SPK. So folgt er etwa der späteren RAF-Aktivistin Carmen Roll bis in die ehemalige Klinik von San Giovanni in Triest, wo in den 1970er Jahren der italienische Psychiater Franco Basaglia seine Idee einer Neue Psychiatrie umgesetzt hatte. Er wollte Reform-Psychiatrie. Das SPK aber stand für Anti-Psychiatrie. Kroske rekonstruiert, wie sich das SPK zwischen Spontisprüchen („Wir fordern 500 Waffenscheine für die Patienten!“) und autokratischen Entwicklungen radikalisierte, bis es schließlich mit aller Staatsmacht als RAF-nahe „kriminelle Vereinigung“ zerschlagen wurde. 1972 wurde Wolfgang Huber und seine Frau Ursel Huber zu Haftstrafen verurteilt, erst 1976 nach Hungerstreik aus der Einzelhaft in Stammheim entlassen. Dazwischen lag der Tod von Holger Meins, und die tödliche Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm 1974, an der auch zwei ehemalige SPK-Mitglieder beteiligt waren.
Kroskes intime Recherche hat nicht nur zahlreiche Akteure des SPK vor die Kamera geholt, sondern auch ihre Polizei-Gegenspieler, oder einen ehemaligen Richter. Immer geht es auch darum, wie man von heute aus auf das Gestern blickt. Aber auch um die Utopien von damals. Huber selbst ist nur als Stimme vom Tonband in einer historischen Aufnahme zu hören. In Deutschland sei er nicht aufzufinden gewesen, sagt Kroske. Der Revolutionär verweigert sich seit seiner Haftentlassung den deutschen Medien. Seine Gedanken vermittelt die Website spkpfh.de in einer Mischung aus harter Ideologie und freiem Sprachexperiment. Die SPK-Idee, aus der Krankheit eine Waffe zu machen, lebt dort weiter. RW
Quellen:
SPK KOMPLEX (Regie: Gerd Kroske, Deutschland 2018)
Basaglia, F. (1973). Die negierte Institution oder die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen: ein Experiment der psychiatrischen Klinik in Görz: Suhrkamp.